Hintergründe

Klassiker & Exoten der Klassik

Zum Kennenlernen und Wiederentdecken

Klassiker und Exoten_blau
© Gestaltanstalt

Zum Kennenlernen und Wiederentdecken: gern gehörte Repertoireklassiker und hörenswerte Exoten, die in dieser Saison das PRO MUSICA-Programm in allen Klangfarben schillern lassen.

Gustav Mahler

Sinfonie Nr. 1

Welche Tonhöhe hat die Natur? Die Antwort von Gustav Mahler war klar: „Wie ein Naturlaut“ solle die Musik beginnen, notierte der Komponist zu Beginn seiner ersten Sinfonie – und ließ alle Instrumente auf dem Ton A beginnen. Von hier aus entwickelt sich nach und nach die Klangwelt des Werks. Geschrieben hat Mahler seinen sinfonischen Erstling übrigens weder in Hamburg noch in Wien, wo man ihn in der Regel vermutet. Nein, die Erste entstand 1888 in Leipzig, wo eine Frau das Herz des feinnervigen Künstlers schneller schlagen ließ: Marion von Weber, angeheiratete Enkelin des Freischütz-Komponisten Carl Maria von Weber. Nach einer kurzen, aber heftigen Affäre zog es Mahler zur nächsten Karrierestation nach Budapest. Was bleibt: Ein Meisterwerk, das mit Naturlauten und verzerrten Trauermärschen, hinreißend lyrischen Passagen und schlichtem Volksliedton, wilder Parodie und einem strahlenden Finale der Sinfonik neue musikalische Wege öffnete.

Richard Strauss

Eine Alpensinfonie

In Ermangelung eines neuen Opernauftrags begann Richard Strauss im Sommer 1911, alte Skizzen und Erinnerungen an Bergwanderungen in der Kindheit aufzugreifen sowie erste Ideen für seine Alpensinfonie zu Papier zu bringen. Unter dem Eindruck von Gustav Mahlers Tod wuchs das, was als Zeitvertreib begonnen hatte, in den nächsten vier Jahren zu einer monumentalen Sinfonischen Dichtung heran, die auch ein gigantisch besetztes Orchester forderte: Bläser in vierfacher Besetzung, dazu Heckelfon, vier Wagnertuben, zwei Harfen, Orgel, Wind- und Donnermaschinen, Herdengeläute, Tamtam und Celesta. Außerdem ein Fernorchester mit zwölf Hörnern, zwei Trompeten und zwei Posaunen. Strauss’ musikalische Bergwanderung mit buchstäblich allen Höhen und Tiefen ist dabei weit mehr als eine Klang gewordene Naturschilderung: Mit ihrer überwältigenden Ausdruckskraft ist die Alpensinfonie bis heute ein einzigartiges Manifest des Glaubens an die Kraft der Natur.

Joseph Bologne, Chevalier de Saint Georges

Violinkonzert op. 5 Nr. 2

Ein Mann auf dem Höhepunkt seines Ruhms: begnadeter Geiger, talentierter Komponist und dazu noch überaus versiert im Umgang mit dem Degen. So weit, so ungewöhnlich stand es um Joseph Bologne, Chevalier de Saint Georges, als er 1775 seine Violinkonzerte op. 5 mit seinem Orchester Concerts des Amateurs zur Uraufführung brachte. Virtuos und leichtfüßig, elegant und abwechslungsreich ist ihr Stil; dafür gemacht, um als Solist glänzen zu können. Und das konnte der 30-jährige Bologne: Dank seines musikalischen Talents und seines athletischen Auftretens sorgte er auf jeder Bühne für Furore. Als Sohn eines französischen Adligen und einer aus Guadeloupe stammenden Sklavin hatte er von seinem Vater im vorrevolutionären Frankreich die besten Ausbildungschancen erhalten und sie in jeder Hinsicht genutzt. Höchste Zeit, seine Werke wiederzuentdecken!

Pjotr Tschaikowsky

Klavierkonzert Nr. 1

Allein dieser Anfang! Majestätische Bläserfanfaren, dann eine hinreißende Streichermelodie zu wuchtigen Akkorden des Soloklaviers: Pjotr Tschaikowskys erstes Klavierkonzert geizt wahrlich nicht mit Gänsehautmomenten. Kein Wunder, dass es heute einer der meistgeliebten Gattungsbeiträge ist und zum Repertoire so ziemlich aller Pianist:innen gehört. Dieser Erfolg war dem Werk allerdings nicht in die Wiege gelegt. Als Tschaikowsky es kurz nach der Fertigstellung seinem bewunderten Mentor Nikolai Rubinstein vorspielte, war das Urteil harsch. Ein oder zwei Seiten könne man vielleicht retten, so Rubinstein, der Rest sei das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben sei. Tschaikowsky jedoch änderte nicht eine Note und schickte das Konzert kurzerhand an den Pianisten und Dirigenten Hans von Bülow. Der fand es „hinreißend in jeder Hinsicht“ und brachte es 1875 zur Uraufführung. Später änderte übrigens auch Rubinstein seine Meinung. Merke: Wie die meisten Dinge ist auch die Kunst eine höchst subjektive Sache!

John Adams

Short Ride in a Fast Machine

Ein „hochmotorisierter“ Klangkörper ist auf jeden Fall Voraussetzung für dieses Stück: Vierfachbesetzte Bläser, das volle Streicheraufgebot, Synthesizer und jede Menge Schlaginstrumente werden für John AdamsShort Ride in a Fast Machine benötigt. Der vierminütige Höllentrip wird vom unerbittlichen Rhythmus des Woodblocks vorangetrieben, die Tempovorschrift „delirando“ (fieberhaft, im Wahn) gibt vom ersten Schlag an grünes Licht für die musikalische Irrsinnsfahrt. „Wissen Sie, wie es ist, wenn einen jemand einlädt, in einem tollen Sportwagen zu fahren, und man sich wünscht, man hätte abgelehnt?“, antwortete Adams später lakonisch auf die Frage nach seiner Inspirationsquelle… Musikalische Traumaverarbeitung vom Feinsten also. Für das Konzertrepertoire ist diese 1986 uraufgeführte „Fanfare für Orchester“ zweifelsohne eine Bereicherung – und für den Komponisten bis heute Quelle großer Anerkennung!

Aaron Copland

Appalachian Spring

„Frühling in den Appalachen“: idyllische Berglandschaft, grüne Bäume, frische Luft. Herrlich – und leider nicht ganz richtig. Aaron Coplands bekanntestes Werk wurde nämlich erst nach Fertigstellung der Musik auf diesen stimmungsvollen Namen getauft. Ballet for Martha nannte Copland das Werk zunächst schlicht: ein Auftragswerk für die legendäre Tänzerin und Choreografin Martha Graham, das er später zur Orchestersuite umformte. Im Mittelpunkt der Geschichte steht das Leben amerikanischer Pioniere im 19. Jahrhundert. Dem trug der Komponist Rechnung, indem er traditionelle Melodien und Rhythmen aus dem ländlichen Amerika in die Musik einfließen ließ, die entsprechend leichtfüßig und tänzerisch daherkommt. Das Publikum dankte es Copland, der mit dem Werk einen großartigen Erfolg feierte und dafür 1945 den Pulitzer-Preis erhielt. Den Titel gab übrigens Martha Graham dem Werk, kurz vor der Premiere. Er stammt aus einem Gedicht und bedeutet im dortigen Kontext „Appalachische Quelle“.